Schwar zenbach Kompl ex – eine andere Zukunft erinnern

Wie haben die Schwarzenbach-Initiative sowie die Gewalt des Gastarbeiterregimes Migrant*innen, ihre Nachkommen sowie die Dominanzgesellschaft geprägt? Wie wirkt diese Geschichte bis heute in den interkulturellen Beziehungen und in der Migrationspolitik weiter? Wie liesse sich Geschichte aus migrantischer und antirassistischer Perspektive erzählen? Und wie können wir historische Ungerechtigkeit im Hinblick auf ein demokratisches Zusammenleben in der postmigrantischen Schweiz in einem kollektiven und vielstimmigen Prozess erinnern, verhandeln und aufarbeiten?  [ké*sarà]

Das transdisziplinäre Kollektiv [ké*sarà] entwickelt ein künstlerisch-ethnografisches Langzeitprojekt zu Migration und Rassismus in der Schweiz. Ausgehend vom 50. Jahrestag der Schwarzenbach-Initiative, die am 7. Juni 1970 nur knapp abgelehnt wurde (>siehe unten), startete der «Schwar zenbach Kompl ex» im Sommer 2020 mit einem Kickoff am Zürcher Theaterspektakel. Seit September 2020 organisiert [ké*sarà] regelmässige öffentliche Erinnerungswerkstätten. Zeitzeug*innen, Alltagsexpert*innen, Aktivist*innen, Kulturschaffenden und Forschende arbeiten darin gemeinsam an einer vielstimmigen und rassismuskritischen Erinnerungspolitik und -praxis. Neue Rechercheergebnisse präsentiert das Projekt am Theaterspektakel 2021 in einem Cluster aus installativen, performativen und diskursiven Formaten. Zudem dokumentiert eine Projektwebseite den kollektiven Entstehungsprozess: Hier findet man Video-Interviews mit Zeitzeug*innen und Fachexpert*innen, Archivmaterial und Analysen zum Thema. «Schwar zenbach Kompl ex» macht erfahrbar, wie ein alternatives Archiv öffentlich entsteht. So schafft das Projekt Räume für die gesellschaftliche Notwendigkeit, Gerechtigkeit wiederherzustellen.

Das Kernteam von [ké*sarà] mit Rohit Jain, Sozialanthropologe aus Bern, Paola De Martin, Historikerin / Aktivistin TESORO aus Zürich und Tim Zulauf, Theaterschaffender und Autor aus Zürich, organisiert und koordiniert den Prozess und die Umsetzung des Projekts. Laufend wird die Arbeitsgemeinschaft mit Kunstschaffenden, Forschenden, Aktivist*innen und Zeitzeug*innen erweitert, die ihre Expertisen und Visionen einbringen und gemeinsam Aktivitäten umsetzen. 

Schwarzenbach-Initiative

Lanciert vom Zürcher Nationalrat James Schwarzenbach kam am 7. Juni 1970 die sogenannte «Überfremdungs-Initiative» zur Abstimmung. Die Initiative verlangte, den Ausländeranteil an der Schweizer Bevölkerung auf zehn Prozent zu reduzieren. Sie wurde  mit 54 Prozent nur knapp abgelehnt. Stimmberechtigt waren damals noch ausschliesslich Männer. Bei einem Ja hätten 300’000 mehrheitlich italienische Gastarbeiter*innen das Land hätten verlassen müssen. Die Initiative und der knappe Ausgang der Abstimmung machten die strukturelle Gewalt des damaligen «Gast-»arbeiter*innen-Regimes sichtbar: Migrant*innen wurden in engen staatlichen Bewilligungssystemen verwaltet, waren oft in Baracken unter unmenschlichen Bedingungen untergebracht, durften ihre Familien nicht nachziehen, wurden immer wieder aus Geschäften verwiesen und tagtäglich beleidigt. Als Folge der Ölkrise von 1973 verloren Hundertausende ihre Arbeit und mussten das Land dann – im Sinne eines Konjunkturpuffers – trotzdem verlassen.

Mehr Informationen

www.schwarzenbach-komplex.ch

Organisation, Koordination, Umsetzung: Rohit Jain, Paola De Martin, Tim Zulauf Gestaltung: Guido Henseler (Video), Urs Hofer (Website-Programmierung), Norm / Manuel Krebs & Dimitri Bruni (Grafik) Koproduktionspartner: Zürcher Theater Spektakel Unterstützt von: m2act – Das Förder- und Netzwerkprojekt des Migros-Kulturprozent für die Darstellenden Künste

Bild: Ortsbegehung Ristorante Cooperativo, Kickoff Schwar zenbach Kompl ex, 15. August 2020 ©ZTS Kira Barlach