Dialogue #01
n.b. The German version can be found below. A translation into English does not yet exist.
«Um Neues zu denken, muss Bisheriges konstruktiv befragt werden»
Rebecca Frey und Moritz von Rappard im Dialog über Ko-Kreation
Rebecca Frey
Tanzschaffende
Kommunikation m2act
Moritz von Rappard
Kulturschaffender
Projektentwickler, Vermittler
Dialog #01, Februar 2021
Lieber Moritz,
im Oktober 2020 hast du den m2act Kickoff im Südpol Luzern mitgestaltet: «Werkzeuge für kulturelle Ko-Kreation» lautete der Titel des zweitägigen Workshops. Kulturelle Ko-Kreation war auch Kernthema bei der Auswahl der durch m2act geförderten Projekte – du warst Mitglied der Jury. Was verbindest du mit diesem Begriff?
Ko-Kreation wird auf Wikipedia als eine Methode, ein Prozess oder das Ergebnis eines gemeinschaftlichen Schöpfungsprozesses bezeichnet und verweist auf die Herkunft des Begriffs aus Marketing und Wirtschaftswissenschaften. Dort ist ganz konkret die Entwicklung von Produkten oder Dienstleistungen aus der Zusammenarbeit von Konsument*innen und Anbieter*innen gemeint. Mir scheint, im Kulturbereich reicht das Spektrum der Vorstellung von Ko-Kreation von schlichtweg jeglicher künstlerischen Zusammenarbeit bis zu ausdrücklich bereichsverbindenden Entwicklungen. Nimmt man so etwas wie Mitmachtheater, Flashmobs oder Selfies-Hochladen mal raus, bezieht man das Publikum für mein Verständnis jedoch noch viel zu selten in die grundlegenderen gestalterischen Prozesse mit ein.
In den neun von m2act geförderten Vorhaben steht der sparten- und bereichsverbindende Aspekt von Ko-Kreation im Vordergrund. Ein Grossteil der Projekte lässt sich keiner klassischen Sparte – wie Kleinkunst, Performance, Theater oder Tanz – zuteilen. Und von Anfang an arbeiten die Kulturschaffenden gleichberechtigt mit unterschiedlichsten Expert*innen zusammen: Urbanist*innen, Soziolog*innen, Historiker*innen, Biolog*innen oder Menschenrechtsaktivist*innen. Gemeinsam setzen sie sich mit Rassismus, der Klimakrise oder feministischem Protest auseinander. Dabei erproben sie partizipative Arbeitsweisen. Ich bin gespannt darauf zu sehen, welche Formate und Methoden sie kreieren und nutzen, um ihre Vorhaben umzusetzen.
Tatsächlich halte ich genau diese Art von Zusammenarbeit für eine grosse Chance – nicht nur der Darstellenden Künste, sondern des kulturellen Angebots im Allgemeinen. Die Menschen, insbesondere in den westlichen Gesellschaften, individualisieren sich immer stärker. Da wäre es als gegenläufige Strömung doch grossartig, wenn künstlerische Projekte Räume entwickeln und anbieten, in denen unterschiedlichste Menschen zusammenfinden, um sich über ihre Perspektiven, Bedürfnisse und Ängste auszutauschen und darüber hinaus gemeinsames Gestalten erproben.
Für solche Prozesse fehlen oft geeignete Räume und passende Rahmenbedingungen. Auch an konstruktiven Tools mangelt es noch. Die g3–Methode, die wir mit dir im Workshop im Südpol ausprobiert haben, öffnet da aus meiner Sicht neue Türen: Sie ist eine hilfreiche Anleitung für die Zusammenarbeit in heterogenen Gruppen und gibt einen engen, aber klaren Rahmen für kulturelle Ko-Kreation – und bleibt zugleich spielerisch. Als Teilnehmerin konnte ich gemeinsam mit Menschen, die ich vorher nicht kannte, einfach mal loslegen und leicht und intuitiv Neues entwickeln. Halbfertige Ideen wurden im Workshop laufend von der Gruppe ergänzt und geschärft. Innert kürzester Zeit haben wir so Projektprototypen entworfen. Mein Fazit: Je diverser die Gruppe zusammengesetzt ist, desto reicher der Schatz an Ideen und desto spannender die Resultate.
Absolut, auch aus meiner Sicht wirkt sich bei der Arbeit mit der g3-Methode die Vielfalt der Gruppenkonstellation positiv auf die Qualität der Ergebnisse aus. Initiator*innen kultureller Projekte bewegen sich oftmals in mehr oder weniger grossen Blasen. Aber gerade wenn es um gesellschaftliche Veränderungen gehen soll, können und sollten ihre Ideen durch Sichtweisen von aussen verbessert werden, bevor das Projekt in die Öffentlichkeit geht. g3 steht für «gemeinsam gesellschaft gestalten». Die Methode ist in erster Linie als Angebot gedacht, um Teilhabe und Öffnung im kulturellen Bereich zu fördern. Im besten Fall ist damit an verschiedenen Punkten einer Projektentwicklung eine Zusammenarbeit mit Aussenstehenden möglich, die von allen Beteiligten als inspirierend erlebt wird.
Die sechs Leitfäden der g3-Methode sind jetzt Teil der m2act Toolbox. Sie stehen bereit zur freienAnwendung und Weiterentwicklung. Gemeinsam mit den Initiant*innen der geförderten Projekte wird das m2act Team die Toolbox fortlaufend mit weiteren Methoden und praxisnahen Tipps erweitern. Individuelle Erkenntnisse bieten damit anderen Kulturschaffenden einen Mehrwert oder Inspiration. Erhalte ich als Kulturschaffende von m2act keine Förderung, kann ich hier trotzdem profitieren.
Mir gefällt, dass m2act den Fokus weitet. Es wird nicht wie üblich nach einem Kriterienkatalog im Hinblick auf das Ergebnis gefördert, sondern vielmehr rücken auch die Arbeitsweisen in den Fokus. Ich finde wichtig, dass Fördermodelle geschaffen werden, die faires und nachhaltiges Arbeiten unterstützen. In Deutschland gibt es ebenfalls vielfältige Diskussionen und Forderungen in dieser Richtung. Doch die Finanzierung von Lern- und Veränderungsprozessen wird meines Wissens kaum oder sogar gar nicht unterstützt.
Zudem fehlt auf Seite der Kulturschaffenden für diese Prozesse oftmals die Zeit. Im Tanz erlebe ich das immer wieder. Unter ständigem Produktionsdruck ist es schwierig, verinnerlichte Vorgehensweisen und Haltungen zu verlernen. Ich muss mir das erst bewusst machen. Dann kann ich loslassen.
Für ein neues Denken und Arbeiten hilft vor allem, das Bisherige konstruktiv zu befragen: Wenn ich keinen konkreten Veränderungsbedarf habe, hilft mir auch kein Tool. Ich muss etwas ändern wollen. Ich muss hinreichend Glauben an meine Selbstwirksamkeit aufbauen können. Ich muss wohlwollend den anderen und gegebenenfalls auch einer hilfreichen Methode gegenüber an den Start gehen. Dann passiert mit Sicherheit etwas: Beobachte ich dabei, dass es sich zum Besseren wendet, mache ich weiter so. Wenn es schlimmer wird, probiere ich etwas anderes aus. Ganz im Sinne des Dreiklangs von Erproben – Prüfen – Anpassen!
Eine passende Schlussnote und genau das Motto, das ich mir nach dem g3-Workshop auch persönlich zu Herzen genommen habe. Vielen Dank, lieber Moritz, für dieses Gespräch!
Moritz von Rappard hat an der Universität Köln Theater-, Film- und Fernsehwissenschaften, Germanistik und Pädagogik studiert und arbeitet seit 1997 als Projektentwickler und Vermittler an der Schnittstelle von gesellschaftlich relevanter und künstlerisch kreativer Arbeit. Nach einer Weiterbildung im Bereich Mediation und Moderation war er von 2017 bis 2020 Projektleiter bei der Stiftung Genshagen und ist seitdem wieder selbstständig tätig.
Rebecca Frey hat an der Universität Lausanne Anglistik, Germanistik, Theatergeschichte und Dramaturgie studiert. Sie bewegt sich als Tänzerin und Dramaturgin in der freien Szene an den Schnittstellen von Tanz, Performance und Feminismus. Seit 2020 ist sie im Team von m2act verantwortlich für die Kommunikation und die laufende Weiterentwicklung der Toolbox.