Dialogue #02
n.b. The German version can be found below. A translation into English does not yet exist.
«Eine gute Mischung aus Übermut und Demut, Kreativität und Pragmatismus»
Rebecca Frey und Björn Müller im Dialog über Transformationsprozesse in den Darstellenden Künsten
Rebecca Frey
Tanzschaffende
Kommunikation m2act
Björn Müller
Transformationssoziologe & -psychologe
Stride – the unSchool
Dialog #02, Juni 2021
Lieber Björn
m2act unterstützt Kulturschaffende, die angetreten sind, um die Darstellenden Künste zukunftsfähiger, diverser und fairer zu gestalten. Wie gehen wir diese Transformation gemeinsam an und sorgen dafür, dass sie nachhaltig Wirkung zeigt?
Transformation heisst, das Zusammenspiel von Strukturen und Mindset zu ändern. Oftmals geht man davon aus, dass Strukturen fix sind. Dass wir ihnen unterworfen sind. Ich plädiere dafür, Strukturen als etwas Bewegliches anzuschauen. Etwas, das wir selbst produzieren. Nur, wenn wir davon ausgehen, dass Strukturen gewachsen sind, und wir sie mit unserem alltäglichen Handeln immer wieder neu reproduzieren, können wir auch Einfluss auf ihre Gestaltung nehmen.
Das bedingt ein hohes Mass an Eigeninitiative und Gestaltungswillen. m2act setzt genau dort an: Wir unterstützen Kulturschaffende bereits in der Initialisierungsphase ihrer Ideen. Acht ausgewählte Ideen werden zurzeit weiterentwickelt. Ein spannendes Vorhaben verfolgen zum Beispiel Mitarbeitende des Schauspielhaus Zürich: Sie engagieren sich innerhalb ihrer Institution für eine «Praxis der Fürsorge» im Umgang miteinander und in der Gestaltung der Hierarchien und Arbeitsweisen.
Sie wollen verändern, indem sie etwas tun und dabei lernen. Struktureller Wandel passiert immer «mittendrin». Sie erproben Alternativen und machen sie salonfähig. Wenn sie ihre Routinen transformieren und dies innerhalb der Organisation zeigen und zur Diskussion stellen, beeinflussen sie damit potentiell Normen, Infrastruktur und Diskurse. So könnten sie eine grundlegende Veränderung des sozialen Miteinanders anstossen.
Dafür setzt sich auch die Plattform «Criptonite: ACCESS» ein. Sie bündelt und verbreitet Ressourcen zu inklusiven künstlerischen Mitteln und Techniken. Stichwort «Aesthetics of Access», also Zugangshilfen, mit denen Bühnenstücke von Anfang an auch für Menschen mit beispielsweise Seh- oder Hörbehinderungen inszeniert werden.
Das ist ein gutes Beispiel für Praxiswandel durch die bewusste Gestaltung von Hilfsmitteln, Technologien und Räumen. Ihre Beschaffenheit wirkt sich auf das Verhalten der Nutzer*innen aus. Inklusion bedeutet, schon beim Design deren diverse Bedürfnisse mitzudenken.
Für Kulturinstitutionen, die evaluieren wollen, für wen ihre herrschenden Standards eigentlich gedacht sind und wen sie damit ausschliessen, erarbeitet der Verein FemaleAct eine praktische Checkliste. Ihr Ziel: die Repräsentation von Gender und Diversität auf der Bühne und im gesamten Theaterbetrieb zu verändern.
Solche Evaluationen, und damit das bewusste Arbeiten mit neuen Standards, können helfen das Zusammenspiel von bewusster Gestaltung und unbewusster Beeinflussung durch den «Kontext» besser wahrzunehmen und anzusprechen: Wie gestalten wir unsere Strukturen und wie gestalten diese wiederum unser Tun? Für mich ist der springende Punkt folgender: Alltägliche Praxis besteht aus Gewohnheiten und Routinen. Wir handeln weit weniger bewusst als wir es oft gerne hätten.
Es geht darum, unser Denken, Handeln, Entscheiden und Produzieren zu verändern und zu hinterfragen. Dies innerhalb von Organisationsstrukturen zu tun, die sich über Jahre hinweg herausgebildet und eingespielt haben, ist eine enorme Herausforderung.
Es braucht eine gute Mischung scheinbarer Widersprüche: Übermut und Demut, Kreativität und Pragmatismus. Nur so kann man schlussendlich konkrete Praxis verändern.
Es braucht auch viel Ausdauer, Gewohnheiten zu verändern, passende neue zu finden und diese auch anzuwenden. Ich frage mich immer wieder, woher wir die Energie nehmen. Und oft scheitern wir daran, dass wir eigentlich ganz anders handeln wollen, als wir es praktisch tun.
Ja, dieses Phänomen ist In der Transformationsforschung gut bekannt. Es ist der «Knowledge-Action-Gap»: die Diskrepanz zwischen unserer Einstellung und dem tatsächlichen Verhalten. Der zeigt sich insbesondere, wenn es um nachhaltiges oder faires Verhalten geht.
Und wenn man da möglichst früh, also schon in der Ausbildung ansetzt? Das wollen Tanzschaffende mit einem ergänzenden Angebot im Lehrplan von Tanzhochschulen. Studierende lernen faire und sichere Arbeitsbedingungen kennen und einzufordern.
Eine gute Idee, denn in Hochschulen werden gesellschaftliche Werte reproduziert, verankert und weitergegeben. Niederschwellig kann Peer Pressure aus dem Arbeits- und Bekanntenumfeld hier etwas bewirken. Wenn Menschen dazu ermächtigt werden, sich zusammen mit anderen für bessere Arbeitsbedingungen einzusetzen, kann sich dies bis in die Ebene der allgemeinen Normen und Regeln auswirken; schlussendlich müssen Standards für sichere Arbeitsweisen sich dann auch gesetzlich verankern.
Dafür braucht es Komplizenschaft und gute Vernetzung unter den Kulturschaffenden. Netzwerkprojekte und Institutionen, die Leute dafür zusammenbringen, könnten da etwas bewirken. Was braucht es ausserdem noch, um in den Darstellenden Künsten einen Wandel voran zu treiben?
Transformationsarbeit braucht Motivation, Geduld und eine wachsende Zahl an Verbündeten. Geduld mit Dingen, die sich nur langsam verändern. Man muss den Wert kleiner Schritte schätzen. Es braucht die Kraft einer Art kritischen Hoffnung, die antreibt, immer wieder neu aufzustehen und es wieder und wieder zu versuchen. Zusammen. Heute. Morgen. Übermorgen.
Danke, Björn für das Gespräch!
Björn Müller ist Transformationssoziologe und Mitgründer von STRIDE – the unSchool für soziale Innovation und Ko-Kreation, Mitinitiator des gesellschaftlichen Aktionsforschungsprojekts «Transformatik» und Vizepräsident Stiftungsrat Science et Cité. Er begleitet seit vielen Jahren transformative Projekte an der Schnittstelle von Forschung, Kunst & Kultur, Unternehmertum & Aktivismus in ihrer Zusammenarbeit und dem Zusammenspiel von Struktur und Freiheit.
Rebecca Frey hat an der Universität Lausanne Anglistik, Germanistik, Theatergeschichte und Dramaturgie studiert. Sie bewegt sich als Tänzerin und Dramaturgin in der freien Szene an den Schnittstellen von Tanz, Performance und Feminismus. Seit 2020 ist sie im Team von m2act verantwortlich für die Kommunikation und die laufende Weiterentwicklung der Toolbox.